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Die Volkszählung von 1470 im Hochstift Speyer

Aus Alsterweiler
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Die Volkszählung von 1470 im Hochstift Speyer ist im Selbstverlag der Stiftung zur Förderung der pfälzischen Geschichtsforschung in der Reihe der Pfälzischen Geschichtsquellen erschienen.

In den Jahren 1469/70 wurden im Hochstift Speyer im Rahmen einem „Volkszählung“ genannten Unterfangen sämtliche Haushaltsvorstände und ihre Ehefrauen in Einwohnerlisten erfasst. Veranlasser dieser Statistik war der Speyerer Bischof Matthias Ramung. Er wollte die Zahl der Einwohner in seinem geistlichen Fürstentum kennen. Die handschriftliche Quelle befindet sich im Generallandesarchiv in Karlsruhe (Bestand 67 Nummer 296).

Bei der Speyerer Volkszählung handelt es sich - gegliedert nach Ämtern und Orten - um ein namentliches Verzeichnis aller erwachsenen Einwohner des Hochstifts Speyer, Männer und Frauen, unter Angabe der individuellen leibrechtlichen Zugehörigkeit. Vergleichbares ist aus keinem anderen deutschen Territorium des späten Mittelalters überliefert.

Beitrag zum Inhalt

Vorstellung des Buchs „Die Volkszählung von 1470 im Hochstift Speyer“ am 3. Juli 2024 im Foyer des Landesarchivs in Speyer / Johannes Weingart.

"Sehr geehrte Damen und Herren,

lassen Sie mich beginnen mit einem Text, der den meisten von uns bekannt sein dürfte. „Es begab sich aber zu der Zeit, daß ein Gebot von dem Kaiser Augustus ausging, daß alle Welt geschätzt würde. Und diese Schatzung war die allererste, und geschah zur Zeit, da Kyrenius Landpfleger in Syrien war. Und Jedermann ging, daß er sich schätzen ließe, ein Jeglicher in seine Stadt.“

Soweit die Ausführungen des Evangelisten Lukas (Kapitel II, Verse 1 bis 3) zu der wohl bekanntesten historischen Volkszählung.

Immer gab es Herrscher, die es genau wissen wollten. Der römische Kaiser Augustus wollte „alle Welt schätzen“, sicherlich dachte er dabei an sein römisches Weltreich.

Fast 1500 Jahre später wollte der Speyerer Bischof Matthias Ramung genau Bescheid wissen über das Bistum, also seinen religiösen Zuständigkeitsbereich, und das Hochstift, seinen weltlichen Herrschaftsbereich. So veranlaßte er unter anderem die Volkszählung im Hochstift Speyer, deren Ergebnis im Jahr 1470 vorlag und der 60 Jahre später eine zweite folgen sollte.


Matthias Ramung

Wer war dieser Mann? Matthias Ramung, um 1417 vermutlich in Heidelberg geboren, stammte väterlicherseits wohl aus dem gleichnamigen niederbayerischen Ritteradelsgeschlecht. Seine Mutter war die Erbtochter des Konrad von Venningen.

Nach dem Studium erwarb er in Heidelberg 1435 das Bakkalaureat in der Artistenfakultät, im August 1439 das der Rechtswissenschaft und 1446 den Grad eines Lizentiaten des Kirchenrechts. Seit Mitte des 15. Jahrhunderts stand Ramung in enger Beziehung zum kurpfälzischen Hof in Heidelberg, seit 1450/51 als „consilarius“ und „secretarius“ im Dienst des Kurfürsten Friedrich I. des Siegreichen, 1454 als Beisitzer am Hofgericht, seit 1455 als Sekretär des Pfalzgrafen Ruprecht, eines Bruders Friedrichs I.

Am 22. Januar 1461 wurde er Stiftsherr bei St. Cyriakus zu Neuhausen bei Worms. Eine Domherrnpfründe zu Worms und die Stiftspropstei zu St. Peter in Wimpfen wurden ihm 1456 zuteil, 1459 eine Domherrnpräbende in Speyer. Der Speyerer Bischof Johannes Nix von Hoheneck verzichtete am 4. Juli 1464 zugunsten Ramungs, der bereits am 8. August als Bischof bestätigt wurde. Ramung starb am 1. August 1478 in Heidelberg.

Im vorliegenden Zusammenhang besonders zu erwähnen sind das Organisationstalent und der Sinn für Verwaltung, die Bischof Ramung in hohem Maß eigen waren. Er wollte Klarheit über die Verhältnisse im Hochstift. So ließ er für alle speyerischen Burgen Verzeichnisse über deren bewegliches Inventar erstellen. „Dem folgten (ich zitiere Kurt Andermann) alsbald vielerlei weitere Listen und Aufstellungen über Viehbestände, Güter und Gerechtsame, Einnahmen und Ausgaben sowie manches andere mehr, alles mit dem Zweck, die Ressourcen des Hochstifts zu erfassen, die Steuererhebung zu optimieren und den Steuerertrag zu verbessern. Und um gegebenenfalls auch fremden Ansprüchen wirkungsvoll entgegentreten zu können, ließ er darüber hinaus historische Nachrichten zusammentragen, wann und in welcher Weise Städte, Dörfer und Schlösser an das Hochstift gelangt waren.“

Auf das Interesse des Bischofs für statistische Zusammenstellungen verweist bereits Buchner in seiner 1907 erschienenen Münchener Dissertation über „Die innere weltliche Regierung des Speierer Bischofs Mathias Ramung“. Besonders klar trete dies zu Tage in dem auf sein Geheiß entstandenen Liber secretorum, der am 10. August 1470 vollendet wurde.


Liber secretorum

Der Liber secretorum, das Buch der Staatsgeheimnisse, auf der ersten Seite der Handreichung in voller Pracht zu sehen, befindet sich im Generallandesarchiv in Karlsruhe. Im Bestand 67 der Kopialbücher trägt er die Nummer 296. Seine Bedeutung für das Hochstift Speyer läßt sich seinem Titel entnehmen, der da lautet „Liber secretorum domini Matthiæ episcopi et principis Spirensis. Worinnen die beschreibung des gantzen hochstiftts“.

Dieses Kopialbuch ist eingebunden zwischen zwei Buchdeckeln mit 22,5 cm Breite und 31,5 cm Höhe. Die Buchdeckel bestehen aus Holz, das mit rotem Leder überzogen ist. Das Leder zeigt besonders an den Rändern teils deutliche Benutzungsspuren. Auf beiden Buchdeckeln verläuft im Abstand von 4,5 cm von den Rändern ein 3 cm breiter Rahmen. Auf den senkrechten Abschnitten dieses Rahmens sind jeweils zwölf, in den waagerechten Abschnitten dazwischen jeweils vier rautenförmige Felder mit einem greifvogelartigen Tier eingeprägt.

Die Ecken der Buchdeckel sind durch mit Arabesken verzierte Messingbeschläge verstärkt. Die Beschläge sind mit Buckeln versehen. Bei beiden Deckeln ist in der Mitte ein rautenförmiger Beschlag mit Buckel und der Umschrift „O Maria hilf, Maria in den himel“ angebracht. Auf der Vorderseite ist zwischen den oberen Eckbeschlägen ein Schriftfeld in das Leder gepreßt. Die darin enthaltene Beschriftung ist nicht zu entziffern.


Der Liber secretorum enthält vielfältige Aufzeichnungen zur Statistik und zu den politischen und kirchlichen Rechtsverhältnissen von Bistum und Hochstift Speyer. Es finden sich Angaben zu Einnahmen, Schulden, Zöllen, Stadtrechten, Synodalprozessen und zum Verhältnis von Hochstift und Stadt Speyer. Bedeutendster Bestandteil – schon vom Umfang her – ist aber die Volkszählung von 1470. Sie steht denn auch am Beginn des Buchs und reicht von fol. 13r bis 163v. Mit diesen 150 Blättern beansprucht die Volkszählung etwa 37 % des etwas über 420 Blatt umfassenden Liber secretorum.

Diese von Bischof Ramung veranlaßten Aufzeichnungen waren Teil „durchgreifender administrativer Maßnahmen und Neuerungen, die in dieser Dichte und Konsequenz in den Territorien des römisch-deutschen Reiches im dritten Viertel des 15. Jahrhunderts ihresgleichen suchen“, wie Kurt Andermann es formuliert hat.


Einige Anmerkungen zu Bistum und Hochstift Speyer.

Das seit dem 5. Jahrhundert bezeugte, der Kirchenprovinz Mainz angehörende Bistum Speyer erstreckte sich von der Hauptwasserscheide des Pfälzerwalds bis zum Neckartal, wobei sein größter Teil auf der rechten Rheinseite lag. Dort gehörten zum Bistum Teile der Markgrafschaft Baden und der damaligen Grafschaft Württemberg, wo es über Backnang hinaus deutlich nach Osten ausgriff.

Im Unterschied zu diesem geistlichen Amtsbezirk des Bischofs, der Diözese, bildete das Hochstift dessen materielle Ausstattung, vor allem das der weltlichen Herrschaft des Bischofs unterworfene Territorium. Solche Hochstifte bestanden als geistliche Fürstentümer im Deutschen Reich vom Spätmittelalter bis zur Säkularisation.

Das Hochstift Speyer bestand im späteren Mittelalter aus zwei Hauptgebieten beiderseits des Rheins, wobei mit der Erhebung der Stadt Speyer zur freien Reichsstadt der zentrale Teil des Hochstifts verlorengegangen war.

Rechtsrheinisch hatte das Hochstift seinen Schwerpunkt im Norden von Bruchsal, linksrheinisch erstreckte es sich um Deidesheim, um Speyer, am Haardtrand zwischen Neustadt und Landau, südlich von Landau in einem breiteren Band zwischen Haardt und Rhein sowie im Süden und Südosten von Weißenburg im Elsaß.

Dabei wurden im Lauf der Zeit immer wieder Orte für das Hochstift erworben, so daß selbst um 1500 seine verwaltungsmäßige Gliederung noch einigem Wandel unterworfen war.

Die hochstiftischen Orte waren verwaltungsmäßig in Ämtern zusammengefaßt. Und diese Verwaltungsgliederung nach Ämtern findet sich auch in der Volkszählung. Dies ist in der ersten unserer beiden Karten dargestellt. Zur Zeit der Volkszählung umfaßte der rechtsrheinische Teil des Hochstifts die Ämter Udenheim, Kislau und Grombach sowie die Städte Bruchsal und Waibstadt; zum linksrheinischen Teil des Hochstifts gehörten die Ämter Kirrweiler, Landeck und Lauterburg.

Hier fällt zunächst auf, daß das nicht unbedeutende Amt Deidesheim in den Einwohnerlisten nicht erscheint. In der Volkszählung von 1530 dagegen ist das Amt Deidesheim mit den Orten Deidesheim, Niederkirchen (Niederdeidesheim), Hochdorf, Ruppertsberg und Forst präsent. Im 15. Jahrhundert war Deidesheim jedoch – Schloß, Stadt und Kellerei samt allen Rechten und Einkünften – wiederholt verpfändet, so von 1465 bis 1472 – also zur Zeit der Volkszählung – an die Niederadligen von Handschuhsheim.

Auf eine Besonderheit, die im wesentlichen des Amt Landeck betrifft, ist hinzuweisen.

In verschiedenen Orten, deren Einwohner im Jahr 1470 gezählt wurden, verfügte das Hochstift nicht über die volle Herrschaft, sondern nur über eine anteilige.

In den Einwohnerlisten der Volkszählung findet sich bei solchen Orten der Vermerk „in myns herren theill“. Es handelt sich dabei um Gleiszellen, Gleishorbach, Klingenmünster, Göcklingen, Mörzheim, Insheim, Offenbach an der Queich, Schwegenheim und Lingenfeld.

Nicht vermerkt ist – aus welchen Gründen auch immer – die nur anteilige Herrschaft in den ebenfalls zum Amt Landeck gehörigen Orten Appenhofen, Bornheim, Heuchelheim, Oberhochstadt und Wollmesheim. Das Hochstift besaß in diesen Orten die Hälfte der Ortsherrschaft. Auch an dem im Amt Kirrweiler liegenden Edenkoben hatte das Hochstift Speyer nur einen Teil der Ortsherrschaft („Odenkobenn unser theill“). In Hainfeld hatte das Hochstift Speyer ein Viertel der Ortsherrschaft, in Modenbach waren es drei Achtel.

Beispielhaft möchte ich Ihnen für den linksrheinischen Teil des Hochstifts Speyer die Orte des Amts Kirrweiler – das liegt uns räumlich nahe – aufzählen und auch die Orte, in denen Ausleute des Amts Kirrweiler lebten. Als Ausleute (ußlute) wurden Untertanen des Hochstifts verstanden, die außerhalb des Hochstifts, also in nicht hochstiftischen Orten, lebten.

Hauptort des Amts Kirrweiler war der namengebende Ort mit dem bischöflichen Schloß (oder auch der Burg) mit einigen zu Kirrweiler gehörenden Höfen.

Daneben umfaßte das Amt Kirrweiler die Orte Berghausen, Diedesfeld, Dudenhofen, Edenkoben (Anteil), Geinsheim, Großfischlingen, Hainfeld, Hambach, Hanhofen, Harthausen, Heiligenstein, Lambrecht (Pfalz), Maikammer und Alsterweiler, Burg Marientraut, Morschbach, Sankt Martin, Schifferstadt, Schloß Kestenburg, Venningen, Waldsee und Weyher in der Pfalz.

Ausleute des Amts Kirrweiler lebten in den Orten Burrweiler, (im Hof zu) Dudenhofen, in Edesheim, Esthal, Flemlingen, Frankweiler, Freimersheim, Gleisweiler, Haßloch, Iggelheim, Lachen, Lobloch, Lustadt, Meckenheim, Rhodt unter Rietburg, Roschbach, Speyer und Westheim.


Volkszählung von 1470 im Hochstift Speyer

In einer Art Vorwort vor den Einwohnerlisten teilt Bischof Ramung die Zielsetzung seiner Volkszählung mit. Mit dem Text in dem im ausgehenden 15. Jahrhundert gebräuchlichen Deutsch möchte ich Sie nicht belästigen. Die Intention des Bischofs Ramung war diese:

Für den Bereich des Hochstifts waren die männlichen und weiblichen Haushaltsvorstände, ob sie Eigenleute waren oder nicht, ob sie dem Hochstift selbst oder anderen Herrschaften gehörten, namentlich zu erfassen. Ebenso sollten die im Hochstift wohnhaften Beamten und Bediensteten, Geistlichen und Adligen festgestellt werden. Anzugeben war auch die Zahl der Ausleute, also der hochstiftischen Eigenleute, die außerhalb des Territoriums des Hochstifts ansässig waren.

Wie die Zählung in der Praxis durchgeführt wurde, ist nicht überliefert. Es ist anzunehmen, daß in jedem Ort des Hochstifts der Schultheiß als landesherrlicher Beamter – möglicherweise zusammen mit dem Pfarrer – von Haus zu Haus ging und die Namen der Haushaltsvorstände und ihrer Ehefrauen erfaßte. Die so ermittelten Daten wurden dem Amt gemeldet, das sie gebündelt an die Verwaltung in Udenheim weiterleitete. Udenheim, das heutige Philippsburg, beherbergte zu der Zeit die Residenz der Speyerer Bischöfe, die dann gut 250 Jahre später von Fürstbischof Hugo von Schönborn in das seit 1722 in Bau befindliche Schloß in Bruchsal verlegt wurde. In der bischöflichen Verwaltung in Udenheim wurden die Einwohnerdaten von einem Kanzleischreiber in die Listen übernommen, die sich im Liber secretorum erhalten haben.


Einwohnerlisten

Diese Einwohnerlisten sind zweispaltig angelegt. Hierzu wurden Hilfslinien zur Blatteinteilung gezogen. Die Spaltenbreiten sind nicht einheitlich. Sie betragen meist etwa 6 bis 8 cm. In der Seitenmitte trennt die Spalten ein Freiraum von etwa 1 cm. Der Innensteg ist bei den Blättern schmäler als der Außensteg. Seite 2 der ausgeteilten Handreichung zeigt als Beispiel für die Einwohnerlisten fol. 43r des Liber secretorum, die zweite der insgesamt sechs Seiten, auf denen die Einwohner von Östringen im Kraichgau registriert wurden.

Die Verzeichnung jedes Haushalts beginnt mit der Aufzählungsformel „Item“. Es folgen die Namen des Haushaltsvorstands und der Ehefrau. Auf den Seitenrändern sind die Leibherrschaften vermerkt.

Die Leibszugehörigkeit zu den beiden im Bereich des Hochstifts am häufigsten auftretenden Leibherrschaften ist durch einen Großbuchstaben markiert. Ein „S“, im Beispiel gleich in Zeile 2 der linken Spalte, steht für das Hochstift Speyer. Dieses Symbol kommt auf dieser Seite oft vor, Östringen war schließlich ein hochstiftischer Ort. Das „P“, das die Zugehörigkeit zur Kurpfalz anzeigt, erscheint lediglich einmal, in der dritten Zeile der rechten Spalte. Zu erkennen ist auch, daß die Eintragungen wohl überprüft wurden, worauf die Haken mit roter Tinte hindeuten.

In der Rubrik der Zugehörigkeiten sind auch Orte vermerkt, aus denen Einwohner hochstiftisch speyerischer Orte zugezogen waren. Meist sind lediglich die Namen dieser Orte angegeben. Es finden sich aber auch Formulierungen, die explizit auf den Zuzug verweisen („Ist von Spier“, „Von Landauwe burtig“). Auf unserer Beispielseite steht in der linken Spalte, in der siebten Zeile von unten, ein Vermerk, der auch in diese Kategorie paßt: „Ist fremde.“


Die Einwohnerliste für einen Ort wird abgeschlossen durch die Summenbildung. In der Summe werden in der Regel genannt

- Anzahl der Haushalte, - Anzahl der Geistlichen, - Anzahl der Adligen, - Anzahl der dem Hochstift Speyer zugehörigen Männer und Frauen, - Anzahl der der Kurpfalz zugehörigen Männer und Frauen.

Im Anschluß an die Einwohnerlisten der zu einem Amt gehörigen Orte wird die Gesamtsumme („Summa summarum“) für dieses Amt ausgewiesen.

An diese Summenbildung schließen sich Listen der dem jeweiligen Amt zugehörigen Ausleute an. An dieser Stelle kurze Anmerkungen zur schon genannten Volkszählung von 1530. Diese unter Bischof Philipp von Flersheim durchgeführte Zählung unterscheidet sich von der 1470er dadurch, daß sie die Zahl der Kinder angibt und auch Gesamteinwohnerzahlen, in denen die Ehefrauen und die Kinder enthalten sind.


Leibszugehörigkeiten

Mit den Einwohnerlisten waren die Haushaltsvorstände mit den Ehefrauen in den hochstiftischen Orten und auch die Ausleute des Hochstifts dokumentiert. Damit war die erste von Bischof Ramung formulierte Zielvorgabe für die Volkszählung erfüllt, nämlich festzustellen, „wievil personen in den slossen und hußgesesse in stetten und dorffernn … sij“.

Wichtiger als das Wissen um die Gesamtzahl der Einwohner aber war für Ramung die Information „wem yeder mit dem libe zugehorig sij“. Deshalb wurden auch die in den Orten des Hochstifts wohnenden Leibeigenen fremder Herrschaften erfaßt, ebenso die Ausleute, die unter anderen Herrschaften wohnten, aber dem Hochstift untertan waren. Durchkreuzung von Landeshoheit und Leibherrschaft wurde dieser Zustand auch genannt.

Mit der Leibeigenschaft waren zu der Zeit der Volkszählung zunächst Freizügigkeits- und Heiratsbeschränkungen verbunden. Die Sicherstellung seiner Mitsprache bei Eheschließungen oder Wohnsitzwechseln war aber sicher nicht das ausschlaggebende Moment, das Bischof Ramung dazu bewegte, seine Untertanen zählen zu lassen.

Zur Leibeigenschaft gehörten auch materielle Belastungen in Form eines jährlichen Leibzinses und einer Sterbefallabgabe. Und das war wohl der wahre Grund für die Volkszählung: Matthias Ramung ging es um die vollständige Erfassung der Steuerpflichtigen, bei denen das Hochstift seine Abgaben eintreiben konnte. Und das waren die Einwohner hochstiftischer Orte, bei deren Namen in den Listen das „S“ vermerkt war, und die Ausleute.

In den hochstiftischen Orten lebten – wie gesagt – auch Leute, die nicht Leibeigene des Hochstifts waren. Die meisten dieser Personen waren, aufgrund der räumlichen Nähe nicht verwunderlich, Leibeigene der Kurpfalz, der Pfalzgrafschaft bei Rhein.

Daneben treten als Leibherren Adlige unterschiedlichen Rangs und auch Klöster auf. Hierzu einige Beispiele auf Seite 2 der Handreichung: - linke Spalte, erste Zeile: Ottingen = Grafen von Oettingen in Bayern (Landkreis Donau-Ries), - linke Spalte, Zeile 4: Lemlin = Reichsritter Lemlin von Horkheim (heute Ortsteil von Heilbronn), - rechte Spalte, Zeile 4: Hirßhorn = Herren von Hirschhorn am Neckar, - rechte Spalte, Zeile 10: Mentzingen = Herren von Menzingen (heute Ortsteil von Kraichtal im Landkreis Karlsruhe), - rechte Spalte, vorletzte Zeile: Odenheim = Benediktinerkloster Odenheim (heute Ortsteil von Östringen).

So lebten in den Orten des Amts Kirrweiler – um dieses wieder beispielhaft heranzuziehen – insgesamt 146 Personen, die andere Leibherren als das Hochstift oder die Kurpfalz hatten. Für diese 146 Einwohner waren insgesamt 30 verschiedene Leibherrschaften zuständig. Allein Ludwig I. der Schwarze, Graf von Veldenz, gebot über 46 Leibeigene, die Grafen von Leiningen über 20 Leibeigene. Es folgte in dieser Rangordnung die Benediktinerabtei Limburg bei Dürkheim mit 17 Leibeigenen, überwiegend in Schifferstadt, wo das Kloster einst über bedeutende Besitzungen verfügte.

Den Herren von Dahn waren elf Personen unterworfen. Den restlichen 26 Leibherren lassen sich je zwischen ein und fünf Leibeigene zuordnen. Unter diesen Leibherren befanden sich etwa der Markgraf von Baden, die Grafen von Württemberg, der Markgraf von Brandenburg und Pfalzgraf Otto von Mosbach, um nur die bedeutendsten zu nennen.

Die Intention des Bischofs Ramung zu seiner Volkszählung läßt sich im Hinblick auf diese Verhältnisse gut nachvollziehen. Es war schon wichtig, hier noch den Überblick zu behalten.

Damit war aber die Differenzierung in der Herrschaftszuordnung innerhalb des Hochstifts noch nicht am Ende.

Unter den Einwohnern des Hochstifts gab es auch Freie, die keiner Leibherrschaft unterworfen waren. Dieser Status ist in den Einwohnerlisten durch den Vermerk „Frij“ oder „Ist frij“ erfaßt. Eine andere Formulierung verweist auf den nicht vorhandenen Leibherren („kein herren“, „weiß keinen herren“, „hat keinen nachfolgenden herren“).

Und es gab die Königsleute. Im Amt Lauterburg hatten am Nordrand des Bienwalds die acht Orte Hatzenbühl, Hayna, Herxheim, Herxheimweyher, Jockgrim, Rheinzabern, Rülzheim und Schaidt den Status von Königsdörfern. In diesen Orten hatte eine bestimmte Personengruppe durch ihren Zuzug den Stand von Königsleuten, von Leibeigenen des Königs, erlangt. Diese Königsleute unterlagen nicht der Besteuerung durch das Hochstift.

In der Volkszählung finden sich Königsleute unter den Einwohnern von Schaidt. Sie sind in einer eigenen Gruppe unter der Überschrift „Kunigslute zu Scheide“ zusammengefaßt, dabei die Witwen in einer Untergruppe. Als Königsleute werden außerdem Hensel Gotz in Waibstadt (115,4) sowie Hensel Karman und seine Mutter in Weyher bezeichnet (128,16).

Vereinzelt erscheinen Einwohner des Hochstifts, die als dem Reich unterstehende bezeichnet sind („des richs, dient in das riche, gehort in das riche“). Diese Reichsleute waren reichsunmittelbar. Der Begriff „Reichsleute“ hat dieselbe Bedeutung wie „Königsleute“.


Übertragungen der Einwohnerlisten

Die Volkszählung von 1470 lag nicht unbesehen im Archiv in Karlsruhe. Sie wurde bereits für Ortschroniken einzelner Gemeinden aus dem früheren Hochstift Speyer ausgewertet. Zu nennen sind hier ohne Anspruch auf Vollständigkeit die Ortschroniken von Obergrombach, Oberhausen, Rülzheim, Salmbach, Schifferstadt, Stettfeld, Waibstadt und Wiesental.


Der Karlsruher Archivrat Hans-Dietrich Siebert hat sich bereits vor dem zweiten Weltkrieg eingehend mit den Volkszählungen von 1470 und 1530 befaßt. Auf 264 Seiten hat Siebert die komplette Übertragung der Einwohnerlisten von 1470 handschriftlich niedergeschrieben. Dabei hat er die einzelnen Positionen der Listen, seien es die Namen der Einwohner oder Überschriften wie etwa Ortsnamen, durchlaufend numeriert. Zu einzelnen der in den Listen genannten Personen und zu den Ortsnamen hat er kurze Erläuterungen in Form von Fußnoten angebracht. Bei den verheirateten Einwohnern ist der Name der Ehefrau in runden Klammern beigefügt, jedoch nicht durchgehend. Unsichere Lesarten von Namen sind mit [?] markiert.

Die Leibszugehörigkeit der Einwohner hat Siebert in seiner handschriftlichen Übertragung in zwei Spalten vor den Personennamen in abgekürzter Form vermerkt. Auf die Erfassung der Zugehörigkeiten zum Hochstift Speyer hat er dabei verzichtet.

Sicherlich waren die Zeitumstände, in denen Siebert an der Übertragung der Volkszählung arbeitete, einer Fertigstellung der Arbeit nicht förderlich. Aber auch Schwierigkeiten bei der Klärung von Sachfragen haben wohl eine Veröffentlichung immer wieder verzögert.

Dr. Hans-Dietrich Siebert verstarb am 14. Oktober 1954 in Karlsruhe. In einem Nachruf wird darauf verwiesen, daß durch seinen allzu frühen Tod seine langjährigen Untersuchungen zur Bevölkerungsgeschichte des Bistums Speyer nicht zu Ende geführt werden konnten.

Am 6. und 7. Mai 1988 hatte in Philippsburg ein Kolloquium über „Bevölkerungsstatistik an der Wende vom Mittelalter zur Neuzeit – Quellen und methodische Probleme im überregionalen Vergleich“ stattgefunden, bei dem ganz besonders die beiden Speyerer Volkszählungen von 1470 und 1530 thematisiert wurden.

Bei diesem Kolloquium wurde darauf hingewiesen, daß die Edition dieser Einwohnererhebungen weiterhin ein Desiderat der Forschung sei. Unter Verweis auf die Vorarbeiten Hans-Dietrich Sieberts zu einer solchen Edition vor dem Zweiten Weltkrieg erscheine es reizvoll, das was damals wegen der Ungunst der Zeitverhältnisse nicht gelungen sei, heute mit modernen Hilfsmitteln wieder zu versuchen.

Im Jahr 1999 legte Erwin F. Ofer die Edition der Volkszählung von 1530 für den linksrheinischen Teil des Hochstifts Speyer vor. Nun kann mit der Edition der Volkszählung von 1470 eine weitere Lücke der Forschung geschlossen werden.

Die vorliegende Edition gibt umfassend die Volkszählung von 1470 wieder. Sie möchte eine Handschrift, die digitalisiert im Internet einzusehen ist, auch denjenigen verfügbar machen, die im Lesen alter Schriften nicht geübt sind. Außerdem werden die Einwohnerlisten durch ein Personenregister erschlossen. Ein Ortsregister versammelt die genannten Orte und Landschaften, ein Sachregister und Glossar die Sachbegriffe und Wortbedeutungen. In einem weiteren Index sind die Leibszugehörigkeiten zusammengestellt.


Für welche Zwecke läßt sich diese Edition nutzen? Verschiedene Ortschroniken wurden genannt, in denen die Einwohnerlisten Eingang gefunden haben. Es sind in der Regel die frühesten umfassenden Einwohnerlisten, die für einen Ort vorliegen. Für allfällige Ortschroniken kann nun auf die Einwohnerlisten zurückgegriffen werden.

Familienforscher finden in den Einwohnerlisten reichlich Material. Sie können nach Familiennamen fahnden. Wer etwa als Träger des Namens Lautenschläger nach möglichen Vorfahren sucht, findet insgesamt sieben „Lutensleher“ – so die damalige Schreibweise -, die in sieben Orten wohnten. Die meisten saßen auf der linken Seite des Rheins, in Billigheim, Herxheim bei Landau, St. Martin und Weyher; die anderen drei in den rechtsrheinischen Orten Bruchsal, Oberacker und St. Leon.

Eine solche Namensuche kann aber – trotz der stolzen Zahl von etwa 5.400 in den Einwohnerlisten vermerkten Haushaltsvorständen – durchaus scheitern. So findet sich kein einziger Träger des Namens Kästel, nicht einmal in der Einwohnerliste für Geinsheim. Der Ort war also – man will es kaum glauben – im Jahr 1470 noch vollkommen „Kästel-freie“ Zone.

Namenforscher können sich für die Vor- oder Taufnamen interessieren. Bei den weiblichen Vornamen liegt Margrethe deutlich an der Spitze, damals wohl ein Modename. Daneben sind häufig genannt, gerne auch in der Kose- oder Kurzform: Barbara (Barbel), Elße (für Elisabeth), Ennel (für Anna), Katherin (Kette), Magdalen und Otilia.

Es findet sich auch immer wieder eine Adelheit, Anna, Gertrut (Drude), Irmel oder Lucie; Namen, die weniger häufig in Erscheinung treten, aber uns auch heute nicht unbekannt sind.

Hinzu kommen Vornamen, die der alten Zeit eigen waren, über die sich aber selbst in einschlägigen Lexika oft kaum Informationen finden. Einige sollen genannt werden: Alhuß, Dyne, Dynlin, Endelin, Eynlege, Ferin, Heilig, Heydewegk, Kardara, Meylin, Mye, Warbett.

War bei den Frauen Margrethe der häufigste Vorname, so war dies bei den Männern Hans, auch im Diminutiv Hensel und in der (ursprünglichen) vollen Form als Johannes. Häufig hörten die Männer zu der Zeit auf Namen wie Claus/Cleusel, Conrad/Conz/Contzel, Jorg, Jost, Michel, Peter oder Veltin, wobei diese Aufzählungen nicht erschöpfend sind.

Außergewöhnliche Namen, die teils nur einmal in den Einwohnerlisten erscheinen, gab es auch bei den Männern. Hier ebenfalls einige Beispiele: Damme, Diellichen, Gylge, Keysell, Reinen, Lebsall, Olmann oder Zolt.

Ausgefallene Familiennamen, in der Regel wohl Übernamen, lassen sich einige ausmachen. Wer „Ackerpfert“ genannt wurde, gehörte sicher zu den kräftig Zupackenden. Der „Snorrenpfijl“ war ganz bestimmt nicht für Langsamkeit berüchtigt. Noch ein paar Beispiele, über deren Sinndeutung sich jeder seine Gedanken machen möge: Apfelmuß, Breitmul, Entenfuß, Fijerabent, Gerngros, Hasenkopf, Hefftdenlymmel, Kleingedancke, Nymantsfrunt, Slotterkopf, Vallinßswert, Wiesenfeger.

Wie der Name „Lutensleher“ siebenmal erscheint und dies in sieben verschiedenen Orten, so gibt es Familiennamen, die in einzelnen Orten oder auch im engeren Umfeld mehrerer Gemeinden gehäuft auftraten.

Der Name Boner etwa steht zehnmal in den Einwohnerlisten, siebenmal in Geinsheim, dreimal in Lachen, also in unmittelbar benachbarten Orten. Ähnlich verhält es sich mit dem Namen Faut, der insgesamt achtmal genannt wird, fünfmal in Venningen, zweimal in Kirrweiler und einmal in Großfischlingen, also in Nachbargemeinden.

Heckmann kommt fünfmal vor, viermal in Herxheim, einmal im benachbarten Herxheimweyher. Der Name Rinck/Rincke erscheint insgesamt fünfmal in den Einwohnerlisten, viermal in Bornheim, einmal im benachbarten Oberhochstadt.

Der rechtsrheinische Teil des Hochstifts zeigt ähnliche Erscheinungen. Die Namen Kappenhover und Rullis kommen je sechsmal vor und zwar ausschließlich in Bruchsal. Der Familienname Vest erscheint ebenfalls sechsmal und zwar ausschließlich in Waibstadt.

Der Name Kneller steht 15mal in den Einwohnerlisten, achtmal in Ubstadt, fünfmal in Zeutern, je einmal in Unteröwisheim (Ausfrau) und Langenbrücken, also in engem regionalen Bezug. Ebenso verhält es sich bei Yser. Der Name kommt neunmal vor, achtmal in Zeutern, einmal in Ubstadt.

Als besonders interessanter Fall, was die Häufung von Familiennamen betrifft, zeigt sich die Gemeinde Salmbach im Nordelsaß, die damals 79 Haushaltsvorstände zählte. Insgesamt 17 von ihnen, also knapp 22 %, hörten auf drei Namen, die zudem ausschließlich in Salmbach zu greifen sind. An der Spitze standen zehn Träger des Namens Fetsch, gefolgt von vier Gollers und drei Bogener.

So viel zu der Ergiebigkeit der Einwohnerlisten für Familien- und Namenforscher.

Fasziniert hat mich der Name eines Einwohners der Gemeinde Rot, Ortsteil von St. Leon-Rot im baden-württembergischen Rhein-Neckar-Kreis. Hans Leberwurst wird mit seiner Ehefrau Elße an dritter Stelle der Einwohnerliste geführt. Dieser Mann oder einer seiner Vorfahren mußte – so mein erster Gedanke – ganz wild auf diese Wurst gewesen sein. Eine richtig im Genuß von Leberwurst sich ergehende Person zeichnete sich vor meinem geistigen Auge ab. Die Phantasie kennt da ja kaum Grenzen.

Das Namenlexikon belehrte mich aber, es handele sich bei „Leberwurt“ um einen Übernamen für Metzger. So war der Mensch wieder einmal um eine Illusion ärmer und will denn auch damit seine Ausführungen beenden. Vielen Dank!"

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Literatur

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