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Als ich reich war.

Aus Alsterweiler
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Als ich reich war. ist eine Erzählung von Franz Matt. Der Beitrag ist gedruckt im Werk: Die Wünschelrute und andere Heimaterzählungen (1946). Im Werk finden sich Angaben zum Ort Alsterweiler.

Auszug Alsterweiler

"Vielleicht kam noch ihre Freundin aus Alsterweiler, die "Fraa Schlosser" zu Besuch... Das war die Frau des Freundes von meinem Vater selig, des Schlosser-Jörg[1] in Alsterweiler, eines gediegenen, soliden Weinbauern der alten Schule. Schon der Umstand, daß wir als Kinder von ihr als der "Fraa Schlosser" und nicht von der Bas Gretl redeten, ließ vermuten, daß sie hoch im Ansehen bei uns stand. War es nicht schon vorgekommen, daß ich ihr Eier, Butter und Gemüse nach Alsterweiler gebracht und dort Weißbrot mit Fruchtsaft darauf erhalten hatte!"

Erzählung

Als ich reich war.

Der Ausdruck: "Der isch en reicher Mann!" enthält für viele Leute, namentlich für viele Pfälzer Leute, eine solche Kennzeichnung einer Person, daß man ihr meistens kein Aber und kein Zwar mehr beizufügen braucht. Reichsein ist in ihren Augen ein Hauptstück menschlicher Vollkommenheit, wenn nicht gar das Hauptstück.Jemand, der reich war, ist zwar nicht mehr so interessant, aber er hat immer noch ein Recht, der großen Abschätzungskommission, der öffentlichen Meinung, wenigstens ein bißchen mehr Aufmerksamkeit abzuringen als wie gewöhnliche Sterbliche. Er genießt immer noch einen gewissen Ruf, er war wenigstens Wer! Und so will ich denn meine Geschichte erzählen . . .Ich war ein Büblein von etwa neun Jahren. Kirchweih - die Kerwe - stand vor der Tür. Ich hatte mir vier Pfennige erspart, bekam noch sechs Pfennige von meinem Vater, fünf von der Mutter, verfügte somit über einen Kerwegeldbetrag von fünfzehn deutschen Reichspfennigen in Nickel und Kupfer, konnte mich also mit Fug und Recht zu den vermögenden Leuten zählen.Stolz schritt ich mit meinen Kameraden, dem Korwe-Schan und dem Hunde-August, am Sonntag nach dem Mittagessen auf den Marktplatz. Besitz verleiht Macht. Den Herrn Polizeidiener, der in voller Gala dort stand, grüßte ich heute, ohne den Hut zu ziehen: Achtung vor der Autorität ist ja lediglich das Erbe der Besitzlosen!"Aweil werd se uffgemacht!" sagte vor innerer Erregung zitternd mein Freund August. Er meinte die "Reitschul".Tatsächlich machten sie gerade das Tuch von dem Mittelpunkt, der Seele der ganzen Kerwe. Schon stand der Rappebereit, der dazu verurteilt war, einige Stunden lang all dieHerrlichkeit in Bewegung zu setzen. Elektrisch betriebene Karussels gabs damals noch nicht. Wir schauten zu, wie daswenig beneidenswerte Tier seinem Wirkungskreis zugeführt wurde - saßen im nächsten Augenblick hoch zu Roß auf der Reitschule und blickten mit einer Miene hinab in dieWelt zu unsern Füßen, die möglichenfalls ein Bildhauer mitFreuden einem seiner siegreichen Feldherren verliehen hätte, wenn ihm das Glück zuteil geworden wäre, uns als Modellzu bewundern. Jetzt setzte die Reitschulorgel ein und spieltedas Lied, dessen Refrain mir noch heute in den Ohren klingt:,,0 du wunderschöner, deutscher Rhein,du sollst ewig Deutschlands Zierde sein!"Es waren unbezahlbare Augenblicke! Wir hatten dieerste Fahrt mitgemacht. Was waren wir für Kerls! Wir reichten dem geldsammeInden Fräulein je ein Fünfpfennig-stück und steckten die Herausgabe, zwei Pfennige, mit einerGebärde in die Westentasche, die jeden Zuschauer davon überzeugen mußte: Die haben Geld wie Heu! Ha, wel-cher Neid mußte all die andern Buben erfüllen, die nicht wiewir die erste Fahrt mitgemacht hatten!Und dann gings durch den Markt. Wir beschauten alldie Herrlichkeiten in den Ständen. Die Kerwe dauerte janoch drei Tage. Wir hatten noch Zeit genug zu kaufen. "Verschleckers net!" hatte die Mutter gesagt bei Verabfolgung des Kerwegeldes, und der Vater: "Kaaf der ebbes vor dieSchul, e Blei oder en Griffel! Mer muß net alles ans Ver-gnüge henke!" Nun ja, ich hatte noch zwölf Pfennige und dafür konnte man sich schon noch etwas leisten.Nur vor dem Messerstand der Frau Schroh aus Eden- koben kostete es einen schweren Kampf. Ein Taschenmesser zu besitzen, ist die Sehnsucht aller Buben. Hätte nur nicht das billigste zwanzig Pfennige gekostet, wer weiß, ob ichsverwunden hätte, so oft die Schälle der Frau zu bewundern, ohne einen Kauf mit ihr abzuschließen. Nun ja, nur nicht den Mut verlieren! Man rechnete mit Möglichkeiten. Viel-leicht fiel doch noch da oder dort eine Kupfergabe ab. Noch acht Pfennige, und die Sehnsucht konnte gestillt werden! Allein, was sind Hoffnungen, was Entwürfe auf der Kerwe! Zwischenhinein kaufte man sich um einen Pfennig Gutsel, ein Schächtelchen Pulverplättchen, die man mit dem Absatz zum Explodieren brachte (3 Pfg!), einige Griffel usw. Kamen dann zu dem Grundstockvermögen tatsächlich von dem oder jenem Ganz- oder Halbonkel einige Pfennige, so hatte unter- dessen die Kauflust solche Lücken gerissen, daß es zu einem Messer halt doch nicht reichte. Das billigste kostete eben immer noch zwanzig Pfennige!Am Montagnachmittag aber war alles durchgeputzt. Ebbe, völlige Ebbe! Die Reitschulorgel spielte immer noch das Lied vom wunderschönen deutschen Rhein; zahlreiche Kinder spielten mit all ihren Gefühlen auf ihren 'erworbenen Mundharmonikas, andere bliesen ihre Gummibälle auf und ließen durch die eingesperrte Luft herzzerreißende "Bläschen" musi- zieren, andere schossen ihre Pistolen solange ab, bis die Pulverplättchen alle verpulvert waren - kurzum, alles schwelgte nach bestem Vermögen in den Genüssen, welche eine Dorfkerwe den Kinderherzen bietet. Ich hatte nichts mehr, zog vor dem Herrn Polizeidiener wieder den Hut und trottete um halb drei Uhr heim, einesteils, um den Kaffee einzunehmen, andernteils um die Mutter mit meiner finanziellen Lage vorsichtig, sehr vorsichtig vertraut zu machen.Im war' demütig geworden. "Gestern noch auf stolzen Rossen ... "Aber schon war das Glück auf dem Wege. Niemand war daheim als die Mutter. Sie war mir damals ein Rätsel. Mandenke: sie war imstande, die Kerwe vorbeigehen zu lassen, ohne etwas von ihren Herrlichkeiten gesehen zu haben. Un- erhört! Wir wohnten nicht an der Hauptstraße und meine gute Mutter war - eine sehr unmoderne Frau. Ich saß also allein mit ihr in der freundlichen Stube und hatte dem Zwetschgenkuchen und dem Kaffee fest zugesprochen, auch nicht versäumt, leise Andeutungen hinsichtlich meiner finanziellen Lage zu machen, Meine Mutter konnte jedoch unter Umständen sehr schwerhörig sein. Sie war es auch an jenem Kirchweihmontag - ließ aber doch einen leuchtenden Hoffnungsstern an meinem Kerwehimmel aufgehen: Vielleicht kam noch ihre Freundin aus Alsterweiler, die "Fraa Schlosser" zu Besuch. Und vielleicht ...Ja, die "Fraa Schlosser". Das war die Frau des Freundes von meinem Vater selig, des Schlosser-Jörg in Alsterweiler, eines gediegenen, soliden Weinbauern der alten Schule. Schon der Umstand, daß wir als Kinder von ihr als der "Fraa Schlosser" und nicht von der Bas Gretl redeten, ließ ver- muten, daß sie hoch im Ansehen bei uns stand. War es nicht schon vorgekommen, daß ich ihr Eier, Butter und Gemüse nach Alsterweiler gebracht und dort Weißbrot mit Fruchtsaft darauf erhalten hatte! Weißbrot war für ein Bauernbüblein meiner Zeit ein seltener Leckerbissen. Und wenn es den gab, so hätte man es als Verschwendung betrachtet, dieses Weißbrot noch mit Fruchtsaft zu versüßen. So etwas gabs eben nur bei der "Fraa Schlosser"!Und diese Frau konnte möglichen falls noch zu Besuch kommen. Das eröffnete die rosigsten Aussichten. Und so stand ich denn am Fenster und schaute unausgesetzt gegen das Gebirge. Es schlug vom nahen Kirchturm drei Uhr, viertel vier Uhr ... Sehr lange durfte es nicht mehr dauern; denn wenn der Besuch kam, so stellte er sich sicherlich noch zum Kaffeetisch ein - und daß die Mutter den Kaffee- hafen noch warm gestellt, hatte ich gar wohl bemerkt. Von ferne kamen verlorene Töne des wunderschönen deutschen Rheinliedes, es war fast halb vier Uhr - da tat mein kleinesBubenherz einige Freudenschläge - hinten um die Straßenbiegung vom Schlößchen her kam langsam und gemächlich mit den Spigenhaube und dem großen Regenschirm die "Fraa Schlosser". Jetzt gabs keinen Halt mehr. Im nächsten Augen- blick war ich schon zum Hoftor hinaus und sprang der An- kommenden entgegen. Im Triumph führte ich die freundliche, bejahrte Frau dem Elternhause zu - und nicht lange dar- nach nestelte dieselbe etwas aus dem Geldbeutel und drückte mir eine Silbermünze in die Hand: ein blankes Fünfzig- pfennigstück!Und jetzt - war ich reich! Sobald sichs ohne Aufsehen machen ließ, entfernte ich mich nach dem Hofe und wieder nach einer Weile, so schritt ich dem Markte zu. Und in welch gehobener Stimmung! Die Leute mußten mirs ja' ansehen, daß ich im Besitze eines Fünf- zigers war. Bald umstanden mich einige Kameraden und schauten zu mir auf, wie man eben zu einem Krösus auf- blickt. Den Herrn Polizeidiener, wenn er in diesem Augen- blick in Gala vorbeigeschritten wäre, hätte ich, wenn er nicht besonders scharf hergeschaut hätte, am Ende überhaupt nicht gegrüßt. Besitz schafft Macht! Wir entwarfen Kaufpläne. Jetzt brauchte ich nicht mehr zu knausern. Ein Taschenmesser zu zwanzig Pfennigen - Kleinigkeit! - Es wächst der Mensch mit seinen größern Zwecken.Und so trat ich schließlich vor einen Stand, um mir einen - Geldbeutel zu kaufen. Wer so reich war wie ich, der hatte einen Geldbeutel nötig. Und so erwarb ich mir ein einen solchen zu dreißig Pfennigen. Ich hätte schon zu zwanzig Pfennigen einen haben können. Aber der zu dreißig enthielt noch ein Innenfach für "Großgeld", wie die Standfrau mirerklärte, für Gold! War ich plötzlich so reich geworden, so konnte man nicht wissen - man mußte sich vorsehen. Ichbekam von der Standfrau noch zwanzig Pfennige zurück und zwar in Gestalt eines jener niedlichen Zwanzigpfennigstückchen, wie sie damals in Gebrauch waren. Und weil ich bis dahin noch kein Geld für das Innenfach meines Geldbeutels hatte, so steckte ich die niedliche Silhermünze hinein und ging weiteren Einkäufen entgegen.Ich weiß nicht mehr, wie oft ich meinen neuen Geldheutel aus der Tasche zog und bewunderte. Wie oft wurde der Mechanismus am Schloß auf seine Richtigkeit probiert, wie oft das Zwanzigpfennigstücklein im Goldfach mit glücklichen Augen betrachtet! Und wieviele andere Kinder mußten meine Schätze ebenfalls bewundern! Es war ein großer Tag.Und diesem Tag sollte noch die Krone aufgesetzt werden.Ich hatte alle möglichen Pläne über die Verwendung des kleinen Zwanzigpfennigstückes erwogen und wieder ver- worfen. Immer wieder zog michs zum Messerstand der Frau Schroh aus Edenkoben. Und schließlich hatte ich meinen Entschluß gefaßt: ein Taschenmesser sollte es sein!"Was solls dann koschte, Klenner?" fragte die Frau Schroh."Zwanzig Penning, awwer e gudes!"Und die willige Verkäuferin reichte das Gewünschte her.Ich prüfte, ob es laut genug zuklappte, nahm es glücklich in die Linke und griff mit der Rechten nach dem Geldbeutel in der Hosentasche. Ich öffnete ihn, dann noch das Gold-täschlein, um den Zwanziger herauszufischen. Aber siehe da - das Goldfach war leer! Ich drehte den Geldbeutel nach allen Seiten um, durchsuchte in fieberhafter Hast die Hosen- tasche, dann der Reihe nach auch die übrigen Taschen des kleinen Anzugs, aber das kleine Zwanzigpfennigstück ließsich nicht finden.Es war und blieb verloren. Wahrscheinlich war es mir gelegentlich einer der zahlreimen Inspizierungen des Geldbeutels treulos entschlüpft. Alles Suchen blieb vergebens. Die Frau Schroh sprach noch einige Worte des Beileids, auch solche der Aufmunterung. Denn sie hatte aufgrund lang- jähriger Erfahrungen Verständnis für Bubenfreuden und Bubenschmerzen. Aber was halfs? Schließlich nahm sie mir doch mit einem Ausdruck des Bedauerns das Messer aus der Hand und steckte es wieder an ihren Stand.Mein heller Stern fing an zu erbleichen. Unter den Buben gab es von jeher Proletarier, die mit scheelen Blicken auf die Besitzenden schauten. Zu dem Geldbeutel auch noch ein Messer - das war eigentlich zuviel von mir verlangt ge- wesen. Manche lachten voller Spott und erzählten mein Mißgeschick voller Schadenfreude. Selbst bei meinen intimsten Freunden fand ich wenig Mitgefühl.. Man kannte meine finanzielle Lage, fürchtete vielleicht Pumpversuche, zeigte mir die kalte Schulter - ich war eine gefallene Größe.Und so kam ich denn ziemlich niedergeschlagen nachhause zum Nachtessen. Die "Fraa Schlosser" war längst wieder weg- gegangen. Als der Vater von meinem Verlust hörte, sagte er:"Na ja, sei zufriede! Mer muß net alles hawe welle. Denk halt, du hättscht bloß dreißig Penning kriegt. Unn des wär eigentlich immer noch zuviel gewest for en Bu in deim Alter!"Bald lag ich im Bett; denn abends gabs für uns Buben keinen Ausgang mehr. Am Dienstag hatte ich meinen Verlust zum Teil wenigstens verwunden. Mein neuer Geldbeutel be- kam doch noch einige Kupfermünzen zu fassen und das Lied vom wunderschonen deutschen Rhein konnte man unzählige- male ganz umsonst hören.


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Literatur

Einzelnachweise

  1. Matzinger Es handelt sich um: XXX

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